Tinn
Die Sage von Mari
Im Jahre 1895 wurde der Weg am "Maristien" fertig gestellt und in Betrieb genommen. Vorher musste man wegen der steilen Felsenklippen einen weiten Umweg gehen, um von dieser Seite auf die Westseite mit den Fosso-Gehöften zu gelangen. Zwar konnte man den eigentlichen "Maristien" benutzen, doch dieser war ein nicht ganz ungefährlicher Wanderpfad. Reisende, die es wagten, haben ihre Erlebnisse sehr eindrucksvoll geschildert. Einer von ihnen, Jules Verne, der den Pfad im Jahre 1863 beging, hat der Nachwelt eine besonders dramatische Version hinterlassen. Der "Maristien" ist nach dem Mädchen Mari benannt, von dem mehrere ähnliche Sagen berichten.
Viele Besucher, die hierher kommen, erkundigen sich nach der Sage vom Mari-Pfad. Es gibt mehrere Varianten. Wir geben hier die Version wieder, die die Rjukan Bibliothek für uns in der Zeitung "Maana" vom 22. Juli 1921 fand:
"Øystein, Sohn eines der reichsten Großbauern des Tales, und Mari, die Tochter eines armen Einödbauern, hatten sich sehr lieb. Für die Eltern des Jungen jedoch war dies absolut undenkbar. Ein derart armes Mädchen mit Häuslerblut wollten sie um keinen Preis in die Familie aufnehmen und sie widersetzten sich mit aller Gewalt dieser Verbindung.
Als Sennerin verbrachte Mari die Sommer weit oben auf den Bergweiden. Der Großbauer freute sich über ihre lange Abwesenheit droben auf der Alm. Da nun die Gelegenheit zu Stelldichein und Brautwerbung wesentlich geringer war, wähnte er seinen Sohn einigermaßen in Sicherheit.
Echte Liebe jedoch ist stark und erfinderisch und bricht zuweilen die stärksten Ketten und Hindernisse. Abends, wenn die Sonne hinter den schneebedeckten, glitzernden Bergen untergegangen war und die lebhaften Tiere sich nach den Strapazen des Tages müde zur Ruhe in den Stall begeben hatten - dann, in den stillen Stunden der Nacht, machte Mari sich auf den Weg. Wie ein Vogel flog sie über die Hochebene, über Bäche und Berghänge hinunter durch eine Klamm, dorthin, wo der Fluss Maana am stärksten rauscht und sich weißgolden kochend den Rjukanfossen hinunterstürzt.
Unter einer alten, wettergegerbten Kiefer ließ sie sich nieder und wartete, bis ein schwarzer Schatten auf die Bergwand zuflog: das war ihr Øystein, der mit mutigen und sicheren Schritten aus der tiefen Klamm heraufstieg. Hier war ihr verabredeter Treffpunkt und hier saßen sie so manche Sommer- und Herbstnacht, sicher vor Entdeckungen. Dies war ein sicherer Ort - verfolgte Liebe hatte ihn entdeckt! Die Alten unten im Tal konnten gerne so viele Wachen aufstellen, wie sie wollten. Niemand würde im Traum daran denken, dass jemand es wagen würde, die Wasserfall-Schlucht zu erklettern - erst recht dann nicht, wenn Dunkelheit und Nebel sich über die Wiesen legten.
Vor Tagesanbruch und Sonnenaufgang war Mari wieder zurück oben auf der Bergweide bei ihren Tieren und Olav unten im Tal bei seinen Eltern. Auf diese Art und Weise ging es mehrere Sommer lang.
Eines Tages jedoch war der Himmel schwarz und gewittergeladen. Donner rollten über das Gausta-Gebirge und es hörte sich an, als ob tausende wilder Birkentrolle aus den Felsspalten stiegen. Mächtige Wirbelwinde brachen aus den Wolkenmassen hervor um sozusagen alles auszulöschen, was am Leben war. Die Sennerin war jedoch wie verabredet gekommen und saß wie so oft zuvor unter der Kiefer, von der abgebrochene Zweige in ihren Schoß fielen. Sie betete zu Gott, betete für ihn, den sie vom Tal herauf erwartete und betete für ihr eigenes Leben und für alle oben auf der Bergweide. Zwischen den schlimmsten Sturmböen sauste der Wind mit einem merkwürdigen Ton durch die Krone des alten Baumes, als ob er sein Leid klagen wollte, als ob etwas geschehen sollte. Dichter und dichter kam der Nebel und es sah aus, als ob gespenstische Gestalten vorbeiglitten. Wieder und wieder brauste und toste es um sie herum und Todesangst legte sich erdrückend über Mari. Sie seufzte und betete, horchte und wartete in allergrößter Seelenpein. So war ihr noch niemals zumute gewesen.
Wie von einer Tarantel gestochen sprang sie plötzlich auf. Es schallte etwas Unheilverheißendes durch den Sturm und der Regen rauschte herunter, als ob der Himmel sich geöffnet hatte. Jemand rief ihren Namen. Sie antwortete. Immer wieder wurde sie beim Namen gerufen. Sie kannte die Stimme gut: Es war Olav! In den Sturmpausen hörte sie ihn, wie er heraufkletterte, näher und näher. Sie konnte nicht länger stillstehen, sie musste ihm entgegeneilen.
Aber gerade in diesem Augenblick fegte eine krachende Windbö durch die Schlucht und es hatte den Anschein, als ob die alten Bergwände zitterten. Gleichzeitig stürzten einige große Steine hinunter. Zitternd hielt sie sich an einem Strauch fest. "Olav!" rief sie. Keine Antwort. Sie rief und rief, aber vergeblich, niemand antwortete. Sie sah und hörte nichts mehr von ihm in dieser Nacht.
Als die Morgensonne aufging und das Unwetter sich gelegt hatte, saß Mari immer noch unter der Kiefer. Aber tief dort unten, wo das Wasser sich durch die enge Schlucht presste, sah sie den zerschlagenen Körper eines Jünglings. Das blaue Gletscherwasser floss unaufhörlich vorbei und spülte durch sein blutiges Haar. Es war ihr geliebter Olav, den der Tod ereilt hatte.
Große Trauer legte sich auf Mari. Mit schweren Schritten ging sie schließlich über die Hochebene zurück, um getreu ihre Aufgabe als einsame Sennerin dort oben zu erfüllen.
In diesem Jahr und in den folgenden ging Mari so manche Nacht zur Kiefer, ging hin und zurück über den Pfad und horchte nach ihm, der ihr niemals mehr entgegenkommen würde - bis sich wieder einmal eine schreckliche Gewitternacht über die Berge legte. Danach kam auch Mari nicht mehr zurück. Man fand ihren Körper zerschlagen - genau an der gleichen Stelle, an dem auch Olav an Land getrieben war.
Barmherzige Hände haben sie an Olavs Seite in der geweihten Erde der Kirche beigesetzt."
Viele Besucher, die hierher kommen, erkundigen sich nach der Sage vom Mari-Pfad. Es gibt mehrere Varianten. Wir geben hier die Version wieder, die die Rjukan Bibliothek für uns in der Zeitung "Maana" vom 22. Juli 1921 fand:
"Øystein, Sohn eines der reichsten Großbauern des Tales, und Mari, die Tochter eines armen Einödbauern, hatten sich sehr lieb. Für die Eltern des Jungen jedoch war dies absolut undenkbar. Ein derart armes Mädchen mit Häuslerblut wollten sie um keinen Preis in die Familie aufnehmen und sie widersetzten sich mit aller Gewalt dieser Verbindung.
Als Sennerin verbrachte Mari die Sommer weit oben auf den Bergweiden. Der Großbauer freute sich über ihre lange Abwesenheit droben auf der Alm. Da nun die Gelegenheit zu Stelldichein und Brautwerbung wesentlich geringer war, wähnte er seinen Sohn einigermaßen in Sicherheit.
Echte Liebe jedoch ist stark und erfinderisch und bricht zuweilen die stärksten Ketten und Hindernisse. Abends, wenn die Sonne hinter den schneebedeckten, glitzernden Bergen untergegangen war und die lebhaften Tiere sich nach den Strapazen des Tages müde zur Ruhe in den Stall begeben hatten - dann, in den stillen Stunden der Nacht, machte Mari sich auf den Weg. Wie ein Vogel flog sie über die Hochebene, über Bäche und Berghänge hinunter durch eine Klamm, dorthin, wo der Fluss Maana am stärksten rauscht und sich weißgolden kochend den Rjukanfossen hinunterstürzt.
Unter einer alten, wettergegerbten Kiefer ließ sie sich nieder und wartete, bis ein schwarzer Schatten auf die Bergwand zuflog: das war ihr Øystein, der mit mutigen und sicheren Schritten aus der tiefen Klamm heraufstieg. Hier war ihr verabredeter Treffpunkt und hier saßen sie so manche Sommer- und Herbstnacht, sicher vor Entdeckungen. Dies war ein sicherer Ort - verfolgte Liebe hatte ihn entdeckt! Die Alten unten im Tal konnten gerne so viele Wachen aufstellen, wie sie wollten. Niemand würde im Traum daran denken, dass jemand es wagen würde, die Wasserfall-Schlucht zu erklettern - erst recht dann nicht, wenn Dunkelheit und Nebel sich über die Wiesen legten.
Vor Tagesanbruch und Sonnenaufgang war Mari wieder zurück oben auf der Bergweide bei ihren Tieren und Olav unten im Tal bei seinen Eltern. Auf diese Art und Weise ging es mehrere Sommer lang.
Eines Tages jedoch war der Himmel schwarz und gewittergeladen. Donner rollten über das Gausta-Gebirge und es hörte sich an, als ob tausende wilder Birkentrolle aus den Felsspalten stiegen. Mächtige Wirbelwinde brachen aus den Wolkenmassen hervor um sozusagen alles auszulöschen, was am Leben war. Die Sennerin war jedoch wie verabredet gekommen und saß wie so oft zuvor unter der Kiefer, von der abgebrochene Zweige in ihren Schoß fielen. Sie betete zu Gott, betete für ihn, den sie vom Tal herauf erwartete und betete für ihr eigenes Leben und für alle oben auf der Bergweide. Zwischen den schlimmsten Sturmböen sauste der Wind mit einem merkwürdigen Ton durch die Krone des alten Baumes, als ob er sein Leid klagen wollte, als ob etwas geschehen sollte. Dichter und dichter kam der Nebel und es sah aus, als ob gespenstische Gestalten vorbeiglitten. Wieder und wieder brauste und toste es um sie herum und Todesangst legte sich erdrückend über Mari. Sie seufzte und betete, horchte und wartete in allergrößter Seelenpein. So war ihr noch niemals zumute gewesen.
Wie von einer Tarantel gestochen sprang sie plötzlich auf. Es schallte etwas Unheilverheißendes durch den Sturm und der Regen rauschte herunter, als ob der Himmel sich geöffnet hatte. Jemand rief ihren Namen. Sie antwortete. Immer wieder wurde sie beim Namen gerufen. Sie kannte die Stimme gut: Es war Olav! In den Sturmpausen hörte sie ihn, wie er heraufkletterte, näher und näher. Sie konnte nicht länger stillstehen, sie musste ihm entgegeneilen.
Aber gerade in diesem Augenblick fegte eine krachende Windbö durch die Schlucht und es hatte den Anschein, als ob die alten Bergwände zitterten. Gleichzeitig stürzten einige große Steine hinunter. Zitternd hielt sie sich an einem Strauch fest. "Olav!" rief sie. Keine Antwort. Sie rief und rief, aber vergeblich, niemand antwortete. Sie sah und hörte nichts mehr von ihm in dieser Nacht.
Als die Morgensonne aufging und das Unwetter sich gelegt hatte, saß Mari immer noch unter der Kiefer. Aber tief dort unten, wo das Wasser sich durch die enge Schlucht presste, sah sie den zerschlagenen Körper eines Jünglings. Das blaue Gletscherwasser floss unaufhörlich vorbei und spülte durch sein blutiges Haar. Es war ihr geliebter Olav, den der Tod ereilt hatte.
Große Trauer legte sich auf Mari. Mit schweren Schritten ging sie schließlich über die Hochebene zurück, um getreu ihre Aufgabe als einsame Sennerin dort oben zu erfüllen.
In diesem Jahr und in den folgenden ging Mari so manche Nacht zur Kiefer, ging hin und zurück über den Pfad und horchte nach ihm, der ihr niemals mehr entgegenkommen würde - bis sich wieder einmal eine schreckliche Gewitternacht über die Berge legte. Danach kam auch Mari nicht mehr zurück. Man fand ihren Körper zerschlagen - genau an der gleichen Stelle, an dem auch Olav an Land getrieben war.
Barmherzige Hände haben sie an Olavs Seite in der geweihten Erde der Kirche beigesetzt."
Quelle: Visitrjukan AS
Die Sage von Mari